Autor

Marie-Josée Kuhn

Editorial

Alles ist ­möglich

In diesen Zeiten ist alles möglich: plötzlich exponentielles Wachstum der Ansteckungen, plötzlich Mutanten­viren, plötzlich 2000 Tote an einem einzigen Tag. So geschehen in Brasilien. Dessen neofaschistischer Präsident Jair Bolsonaro ist ein Corona-Leugner und zieht jetzt auch noch gegen die Corona-Impfung in den Krieg. Bereits drei Gesundheitsminister hat er erledigt, der vierte folgt sogleich. Plötzlich ist alles möglich, denn die Pandemie hat unser ganzes Leben verändert. Wir gehen uns aus dem Weg, wir tragen Masken, das Feierabendbier war gestern, die Ferien sind am Nimmerleinstag, wenn überhaupt. Ist Kurzarbeit, ist Homeoffice, sind Schnelltests, Spucktests, sind plötzlich ganz viele neue Wörter da – und weder Parties noch Grossdemos. Wegen Corona streiken die Metaller in Deutschland mit den Schuhen. Dort, wo Siemens Stellen abbauen möchte, stellen sie sie vors Werkstor: Tausende Turn-, Arbeitsschuhe und rosa Gummistiefel.

Editorial

Wille und Wahn

Seit Monaten müssen sie mit einem Fünftel Lohn weniger auskommen: die Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter. Für die Coronakrise können sie nichts, aber die Kurzarbeitsentschädigung der Arbeitslosenversicherung übernimmt in der Regel nur 80 Prozent des Lohnausfalls. Für Serviererin Laura García Soler heisst das minus 600 Franken im Monat. Seit Dezember lebt sie von 2800 Franken. Netto! Sogar fürs Benzin reicht’s jetzt nicht mehr. Weil sie noch ihre Eltern in Spanien unterstützt. Und weil Soler auch kein Trinkgeld mehr macht. Bis zu 1000 Franken im Monat zusätzlich können das sein.

Editorial

Der Mensch ist, was er isst

Was essen die Bauarbeiter eigentlich zum Zmittag? Diese Frage poppte plötzlich an unserer Redaktionssitzung auf. Es folgten vier weitere Fragen: Kochen ihnen die Frauen heutzutage noch vor? Holen sie sich was beim Takeaway? Oder gehen sie in die Beiz? Und wenn sie das vor dem Lockdown taten, was machen sie jetzt? work-Autor ­Johannes Supe schaute ihnen in die Teller und schrieb dann den grossen Bau-Zmittag-Report. Da ist zum Beispiel Stipa K. (59), der auf der Baustelle am Thuner Bahnhof baut. Heute isst er Penne al ragù. Im Tupperware. Vorgekocht von seiner Frau. Dabei war der Maurer selber mal Militärkoch. Musste 1000 Männermäuler stopfen. Oder Polier Fritz I. (58): Heute isst er Bohnen, ­Wienerli und Spiralen. Er hat selber vorgekocht.

Editorial

Der Teppich­klopfer

Ein Teppichklopfer. Ein Teppichklopfer auf schwarzem Grund. Ein Teppichklopfer auf schwarzem Grund auf einem Abstimmungsplakat mit der Parole «Frauenstimmrecht Nein!». Das genügte vollends. Um den Schweizerinnen und Schweizern 1946 die männliche Postordnung durchzugeben: Politik ist Männer­sache, Frauen bleibt bei eurer Hausarbeit!

Editorial

Weg ist weg

Weg ist weg, immerhin! Endlich hat Twitter dem orangen Irren den Stecker gezogen. Und damit auch demonstriert, wer in den USA wirklich das Sagen hat. Nicht nur dort: Twitter, Google, Facebook & Co. regieren die Welt. Aber immerhin: Endlich ist Donald Trump stillgelegt. Als das Grossmaul am 6. Januar 2017 den Thron im Weissen Haus bestieg, zeichnete ihn der Schweizer Karikaturist Chapatte vor zwei roten Knöpfen sitzend. Der eine war angeschrieben mit «Twitter». Der andere mit «Nuke», Atombombe. Diese Bombe hat der Bombenleger in seiner Amtszeit nicht gezündet. Dafür taumeln die Staaten jetzt am Abgrund eines Bürgerkriegs. Der Putschversuch der Trump-Hörigen am Dreikönigstag hat’s dramatisch vor Augen geführt. Die alten (Sezessions-)Geister, die der Präsident rief, wird Washington DC nun so schnell nicht mehr los.

Editorial

Wir Lesel, wir!

Corona ist, wenn wir trotzdem lachen. Zum Beispiel mit dem ­deutschen Grafiker und Comedy-Künstler Micha Marx. In der ersten Welle im Frühling war ihm lang­weilig, und es entstanden seine ­Quarantierchen: die verschiedenen Menschentypen im Lockdown als tierische Ebenbilder. Die Videokonferente, der Toilettentapir, der Lesel, der Systemrelefant und eben das Quaranthähnchen. Alle zu bestaunen in diesem work. Und Hand aufs Herz, liebe Leserinnen und Leser: Erkennen Sie sich wieder?