Anne-Sophie Zbinden

Editorial

Anne-Sophie Zbinden ist die Chefredaktorin von work.

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Freudentage

Quarantäne-Pflicht weg, Homeoffice-Pflicht weg, fallen demnächst auch das Zertifikat und die Maskenpflicht im öffentlichen Raum? Gegen den massiven Druck der Wirtschaft gibt es im Bundesrat kein Halten mehr. Eine Gewerblerfront fordert sogar einen «Tag der Freiheit»: Alle Corona-Massnahmen sollen an einem Tag fallen. Aber nicht immer sind Rückübersetzungen aus dem Englischen frei von Fallen. «Tag der Freiheit» heisst auch ein Propagandafilm der Nazi-Ikone Leni Riefenstahl über den siebten Reichsparteitag der NSDAP von 1935.

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Besteuert uns!

Millionäre, die mehr Steuern zahlen wollen? Und laut schreien: «Tax me now!» Besteuert mich, jetzt! Tja, es gibt eben nichts, was es nicht gibt. Diese Woche haben 102 Millionärinnen und Millionäre einen offenen Brief an alle Teil­nehmenden des Welt-Geldsack-Forums WEF geschickt. Dieses findet auch im Jahr 2 von Corona online statt. Und sie hauen darin mit der Faust auf den digitalen Tisch. Weil sie die Nase voll haben von der tödlichen Ungleichheit. ­Pervers, aber wahr: Die Coronakrise hat die Reichsten dieser Welt noch reicher gemacht. Und die Armen zahl­reicher. So konnten die weltweit 2755 Milliardärinnen und Milliardäre ihr Vermögen seit Beginn der Pandemie stärker vermehren als in den gesamten 14 Jahren zuvor.

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Wir haben es in der Hand

Alpha, Beta, Gamma, Delta, Omikron: Bald können wir schon das halbe griechische Alphabet auswendig. Und das nur wegen Sars-CoV-2. So nannten wir das Coronavirus vor bald zwei Jahren, als es uns, von Italien heranrollend, einholte. Und aufschreckte. Solch tödliche Viren, das gibt’s doch in Afrika, das gibt’s doch nicht bei uns! So dachten wir damals in unserer ganzen Wohlstandsverwöhntheit. Und nicht wenige denken immer noch, Corona könne ihnen nichts an­haben. Obwohl ein hartes Triage-Regime in den Spitälern näher rückt.

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Vive les smoodeurs!

Das Zürcher Luxushotel Baur au Lac ist zwar noch kein Take-away. Doch letzte Woche bot es seiner Klientel ein «Thanksgiving @ Home» an. Schon ab 340 Franken gab es einen saftigen Truthahn, ofengeschmort vom Sternekoch, dazu glasierte Marroni, Rotkraut und Cranberry-Jus. Für einen kleinen Aufpreis war auch Champagner zu haben oder der passende Rote. Alles frei Haus. Bis in die gute Stube geliefert. Aber nicht vom Hotelportier. Auch nicht von einem dieser internationalen Kurierkonzerne, die ihr Personal mit lottrigen Drahteseln und grellen Uniformen losschicken. Nein, das feine Haus vertraut auf Smood.

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Lasst sie nicht durchtrycheln!

Jetzt kämpfen wir also schon gegen die fünfte Coronawelle. Die Infektionen steigen ungemütlich an. Seit dem 15. November gilt in Österreich ein Lockdown für Ungeimpfte. Doch die Schweiz bleibt lari-fahrig (Stand 17. November). Und da steh ich also an einer Haltestelle, als ein Mann kommt mit einem Zylinder. Ich denke noch: Ob das ein Aluhut ist? So ein Verschwörungstheoretiker? Und lese auf seinem Hut: «Kein Sex mit Geimpften», Ausrufezeichen!

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Maskenlose Freiheit

Endlich können wir wieder in die Beiz! Und erst noch ohne Maske. Zertifikat sei Dank! Und endlich können wir die Feste wieder feiern, wenn sie fallen: Das Fest zu 20 Jahren work in der «Heiteren Fahne» in Bern jedenfalls war sehr, sehr heiter. Davon zeugen die tollen Bilder von Fotograf Matthias Luggen. Wieder einmal feiern und tanzen «oben ohne» – und alle lassen ihre Masken fallen. Kein Wunder, unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung die Zertifikatspflicht, wie die Corona-Umfrage der SRG zeigt.

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20 Jahr, wunderbar!

Wie sollen wir feiern? So fragten wir uns auf der Redaktion, als es Nina Seiler Anfang Jahr plötzlich entfuhr: «Oh, Wahnsinn! Wir haben im Oktober ja das Zwanzigste.» Wie wollen wir das feiern? Irgendwann meinte dann Clemens Studer: «Dänk mit unseren Frontseiten, da sieht man alles!» All unsere Killerrecherchen, all unsere Hammerthemen, all unsere Darlings. All die Böfei, die guten Zeiten und die schlechten Zeiten, politische Gezeiten, die Stürme und Crashs und immer auch unsere Fieberkurve beim Machen.

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Leerstelle ­Afghanistan

Hindukusch, Kandahar, Dschalalabad: Es liegt nicht nur an der Schweizer Winterschumarke, dass diese Namen in unseren Ohren klingen. Nach Freiheit. Abenteuer. Und Opium. Nach Sehnsuchtsorten. Zwar reiste Karl May in seinen Abenteuerromanen nie so weit nach Osten. Sein britischer Kollege Rudyard Kipling aber schon. In seiner Erzählung «Der Mann, der König sein wollte» planen zwei britische Abenteurer, mit ihren Martini-Henry-Gewehren im afghanischen Kafiristan (heute Nuristan) die Herrschaft zu übernehmen. Es endet übel. 1939 reist auch die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach mit dem Auto in den Hindukusch. Lange bevor Afghanistan zum Hippie-Mekka wird. Besonders Kabul zieht in den 1960er und 1970er Jahren Tausende Blumenkinder, Entdecker und Ausgeflippte an. Auf der «Hasch-Route» mit dem VW-Bus oder per Autostop unterwegs nach Indien, bleiben viele hängen. Afghanistan ist damals eine Monarchie und es gibt starke revolutionäre Bewegungen. Die Stimmung im Land: weltoffen. Doch König Mohammed Zahir Schah fällt 1973. Dann mischen sich die Sowjets und die USA ein. Das ist der Anfang vom Ende der Sehnsuchtsreisen.

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Es geht voran!

Auf der japanischen Insel Kyushu hat in einem Naturreservat soeben das neun Jahre alte Makaken-Weibchen Yakei die Führung der ganzen 677 affenstarken Horde übernommen. Das durften wir kürzlich im englischen «Guardian» lesen. So was hat die Welt noch nicht gesehen: Auf dem Weg nach ganz oben brachte Alphaweibchen Yakei ihre 10 Kilo Lebend­gewicht offenbar ohne Rücksicht auf Verluste ins Raufspiel und triumphierte schliesslich über den bisherigen Anführer Sanchu (31). Er war fünf Jahre lang der Boss gewesen. Die Aufseher rieben sich nur ungläubig die Augen: In der 70jährigen Geschichte des Takasakiyama-Reservats war so etwas noch nicht passiert.

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Die Corona-Seuche

Pocken, Tuberkulose, Kinderlähmung, Typhus: Einst rafften sie auch in der Schweiz Zehntausende dahin. Liessen sie gelähmt, fiebrig, nach Luft ringend und Blut spuckend zurück. Oft bis zum Tod. Zum Beispiel die Tuberkulose, die Tb, auch Schwindsucht genannt: Letztmals wütete sie hier von 1905 bis 1906 und hinterliess 18 385 Tote. Die Nidwaldner Schriftstellerin Isabelle Kaiser, die selber an der Krankheit litt, beschrieb sie 1921 so: «Ein wilder Geier, kreist er durch die Lüfte – und hackt sich ein in jede zarte Brust. Als Schacherer des Todes und der Grüfte. Da, wo er niedersaust, erstirbt die Luft.»

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Welche Freiheit?

Was für ein Sommer! Er fiel buchstäblich ins Wasser. Regen, Regen, Regen, Fluten und Hagelstürme. Mordio und Totschlag: Wir werden das Bild dieses gigantisch gähnenden Erdlochs von Erftstadt in Nordrhein-Westfalen nie mehr vergessen. Eine ganze Häuserzeile wurde einfach verschlungen. Deutschland sah plötzlich aus wie ein Entwicklungsland.

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Mensch, Roboter!

Pepper ist tot. Aus, fertig, vorbei: Der japanische Technikinvestor Softbank hat dem humanoiden Roboter mit den grossen, hohlen Augen den Stecker gezogen. Der Grund: fehlende Nachfrage. Dabei hatte das fremdgesteuerte Kerlchen mit dem grossen Display auf der Brust bei seiner Vorführung im Zürcher Glattzentrum doch noch purlimunter gewirkt. Das war im Sommer 2017.