Anne-Sophie Zbinden

Editorial

Anne-Sophie Zbinden ist die Chefredaktorin von work.

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Leerstelle ­Afghanistan

Hindukusch, Kandahar, Dschalalabad: Es liegt nicht nur an der Schweizer Winterschumarke, dass diese Namen in unseren Ohren klingen. Nach Freiheit. Abenteuer. Und Opium. Nach Sehnsuchtsorten. Zwar reiste Karl May in seinen Abenteuerromanen nie so weit nach Osten. Sein britischer Kollege Rudyard Kipling aber schon. In seiner Erzählung «Der Mann, der König sein wollte» planen zwei britische Abenteurer, mit ihren Martini-Henry-Gewehren im afghanischen Kafiristan (heute Nuristan) die Herrschaft zu übernehmen. Es endet übel. 1939 reist auch die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach mit dem Auto in den Hindukusch. Lange bevor Afghanistan zum Hippie-Mekka wird. Besonders Kabul zieht in den 1960er und 1970er Jahren Tausende Blumenkinder, Entdecker und Ausgeflippte an. Auf der «Hasch-Route» mit dem VW-Bus oder per Autostop unterwegs nach Indien, bleiben viele hängen. Afghanistan ist damals eine Monarchie und es gibt starke revolutionäre Bewegungen. Die Stimmung im Land: weltoffen. Doch König Mohammed Zahir Schah fällt 1973. Dann mischen sich die Sowjets und die USA ein. Das ist der Anfang vom Ende der Sehnsuchtsreisen.

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Es geht voran!

Auf der japanischen Insel Kyushu hat in einem Naturreservat soeben das neun Jahre alte Makaken-Weibchen Yakei die Führung der ganzen 677 affenstarken Horde übernommen. Das durften wir kürzlich im englischen «Guardian» lesen. So was hat die Welt noch nicht gesehen: Auf dem Weg nach ganz oben brachte Alphaweibchen Yakei ihre 10 Kilo Lebend­gewicht offenbar ohne Rücksicht auf Verluste ins Raufspiel und triumphierte schliesslich über den bisherigen Anführer Sanchu (31). Er war fünf Jahre lang der Boss gewesen. Die Aufseher rieben sich nur ungläubig die Augen: In der 70jährigen Geschichte des Takasakiyama-Reservats war so etwas noch nicht passiert.

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Die Corona-Seuche

Pocken, Tuberkulose, Kinderlähmung, Typhus: Einst rafften sie auch in der Schweiz Zehntausende dahin. Liessen sie gelähmt, fiebrig, nach Luft ringend und Blut spuckend zurück. Oft bis zum Tod. Zum Beispiel die Tuberkulose, die Tb, auch Schwindsucht genannt: Letztmals wütete sie hier von 1905 bis 1906 und hinterliess 18 385 Tote. Die Nidwaldner Schriftstellerin Isabelle Kaiser, die selber an der Krankheit litt, beschrieb sie 1921 so: «Ein wilder Geier, kreist er durch die Lüfte – und hackt sich ein in jede zarte Brust. Als Schacherer des Todes und der Grüfte. Da, wo er niedersaust, erstirbt die Luft.»

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Welche Freiheit?

Was für ein Sommer! Er fiel buchstäblich ins Wasser. Regen, Regen, Regen, Fluten und Hagelstürme. Mordio und Totschlag: Wir werden das Bild dieses gigantisch gähnenden Erdlochs von Erftstadt in Nordrhein-Westfalen nie mehr vergessen. Eine ganze Häuserzeile wurde einfach verschlungen. Deutschland sah plötzlich aus wie ein Entwicklungsland.

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Mensch, Roboter!

Pepper ist tot. Aus, fertig, vorbei: Der japanische Technikinvestor Softbank hat dem humanoiden Roboter mit den grossen, hohlen Augen den Stecker gezogen. Der Grund: fehlende Nachfrage. Dabei hatte das fremdgesteuerte Kerlchen mit dem grossen Display auf der Brust bei seiner Vorführung im Zürcher Glattzentrum doch noch purlimunter gewirkt. Das war im Sommer 2017.

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Greta Gössi

Der Freisinn hat seine Frauen also doch nicht so gern, wie er einst behauptete. Der Rücktritt seiner Chefin zeigt das deutlich. Seit Wochen stand Petra Gössi im Sperrfeuer von rechts. Obwohl sie selber auch nicht im Verdacht steht, eine Linksliberale zu sein. Wer solche Parteikollegen hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr. «Greta Gössi» verhunzten sie sie (Öko-Aktivistin Greta Thunberg lässt grüssen!), weil sie dem absaufenden Freisinn einen grünen Anstrich verpassen wollte. Die Parteibasis folgte ihr, doch die Schakale heulten. NZZ und die «Weltwoche» schrieben mit.

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Alles im Rahmen

Dieses Rahmenabkommen ist ein richtiges Männerding! Nicht, dass es uns Frauen im Alltag nicht direkt betroffen hätte. Und nicht, dass auf Seiten der EU keine mächtige Frau am Ruder wär. Die familienbesessene Ursula Gertrud von der Leyen, fröhliche Mutter von sieben Kinderlein. Gott und der CDU zum Grusse! Auf Schweizer Seite jedoch fuhr eine reine Männerriege dieses Rahmen­abkommen an die Wand. Kamikaze-Pilot Ignazio Cassis als Aussenminister und Roberto Balzaretti als sein Chef­unterhändler. Und als dieses Abkommen schon röchelnd am Boden lag, da durfte auch noch der «Schneider-­Hannes» ans Verarzten, Ex-FDP-Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Und schliesslich Traubenbauer a. D. Guy Parmelin (SVP).

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Die Operation ­Pollinator

Syngenta ist ein bisschen wie die Vogelwarte Sempach: kümmert sich um Vögel, Nistplätze, Bienen und Biodiversität. Und gibt uns jene natürlichen Lebensräume zurück, die wir zerstört haben. Ein Blick in das doppelseitige Inserat des Konzerns, das derzeit kursiert, genügt: Schauen Sie nur, wie schön der Klee da auf dem Foto blüht und wie zart die hellgelben Margeriten! Sehen Sie den himmelblauen Himmel über dem grasgrünen Gras? Und da hat’s noch ein Gratis-Briefchen voller Wild­blumensamen ein­geklebt. Zum Selberaussäen: «Machen Sie mit bei der Operation Pollinator!» steht da drauf. Und weiter: «Wir bei Syngenta Group sind überzeugt: Wer die Welt nachhaltig ernähren will, muss bei unseren Böden beginnen.» Was für ein Brain- und Greenwashing! Was für eine Dreistigkeit! Ausgerechnet jener Agrokonzern, der Leben monopolisiert und natürliche Ressourcen privatisiert.

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Wendezeit

US-Präsident Joe Biden ist gar kein Sleepy Joe. +++ Die EU findet Mindestlöhne plötzlich richtig und wichtig. +++ Und endlich dämmert es der Schweiz, dass Impfstoffpolitik Indus­triepolitik ist. Wenn das nicht kleine Wenden sind! Vielleicht sogar eine grosse Wende?

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Völker, hört die Signale!

Joe Biden schläft nicht. Kaum im Oval Office, will er auch schon die Steuern erhöhen. Das wäre dann das erste Mal seit den 1980er Jahren, dass ein US-Präsident sich das traut. Und das Beste daran: Biden will nicht die Kleinen schröpfen, sondern die Konzerne zur Kasse bitten. Er möchte die Gewinnsteuer von 21 auf 28 Prozent erhöhen. Am Schluss darf’s dann wohl ein bisschen weniger sein. Und doch wär’s ziemlich kitzlig. Ver­glichen mit den Steuer­sätzen in den Schweizer Steuerparadiesen Zug oder Nidwalden nämlich glatt eine Verdoppelung.

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Die Elefanten

Eigentlich sind sie überhaupt nicht für diese Jobs gemacht. Jedenfalls nicht als Reittiere. Ihr Rücken hält’s auf die Dauer nicht aus. Und sie sind Wildtiere. Stattdessen werden sie gewaltsam gezähmt: die dressierten Elefanten. Zwischen 3000 bis 4000 leben und arbeiten allein in Thailand. Und was sie alles schon mussten: Kriegselefanten sein im Dienste des Königs. Holzarbeiter-Elefanten sein und mithelfen, just jenen Dschungel abzuholzen, der einst ihre Heimat war. Und heute müssen sie Lastesel spielen für die Touristinnen und Touristen. Diese ergötzen: Fussball spielen, «Männchen machen», Wasser spritzen oder zeichnen. Mit ihrem Rüssel. Mit diesem rund 60'000 Muskeln starken Allzweckorgan. Umgerechnet bis zu 900 Franken im Monat spielen die Dickhäuter ihren Halterinnen und Haltern so ein. Besser gesagt: sie spielten. Denn seit Corona sind die Strände von Pattaya & Co. leer. Und die Elefanten arbeitslos.

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Alles ist ­möglich

In diesen Zeiten ist alles möglich: plötzlich exponentielles Wachstum der Ansteckungen, plötzlich Mutanten­viren, plötzlich 2000 Tote an einem einzigen Tag. So geschehen in Brasilien. Dessen neofaschistischer Präsident Jair Bolsonaro ist ein Corona-Leugner und zieht jetzt auch noch gegen die Corona-Impfung in den Krieg. Bereits drei Gesundheitsminister hat er erledigt, der vierte folgt sogleich. Plötzlich ist alles möglich, denn die Pandemie hat unser ganzes Leben verändert. Wir gehen uns aus dem Weg, wir tragen Masken, das Feierabendbier war gestern, die Ferien sind am Nimmerleinstag, wenn überhaupt. Ist Kurzarbeit, ist Homeoffice, sind Schnelltests, Spucktests, sind plötzlich ganz viele neue Wörter da – und weder Parties noch Grossdemos. Wegen Corona streiken die Metaller in Deutschland mit den Schuhen. Dort, wo Siemens Stellen abbauen möchte, stellen sie sie vors Werkstor: Tausende Turn-, Arbeitsschuhe und rosa Gummistiefel.