Anne-Sophie Zbinden

Editorial

Anne-Sophie Zbinden ist die Chefredaktorin von work.

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Der kleine ­Unterschied

Insel der Glückseligen, rundherum von Bergen geschützt. Eine Trutzburg. Eine Willensnation. Die Schweizerinnen und Schweizer freiheits­liebend, sauber, gschaffig, sparsam und einzigartig. Der Sonderfall Schweiz eben. Dabei sind die Berge gar nicht um die Schweiz herum. Sondern die Schweiz um die Berge herum. Darauf verwies kürzlich Germanist und Professor Peter von Matt in einem Interview mit der NZZ am Sonntag. Er ist 83 und einer der letzten altmodischen, da pointierten Intellektuellen der Schweiz. Der kleine Unterschied und seine grossen Folgen: so leichtfüssig kann man einen Mythos knacken, wenn man von Matt heisst.

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Corona ist nicht schuld

Masken runter, Büros und Beizen auf – ist das Gröbste jetzt überstanden? Bestimmt nicht ökonomisch. Denn nach der Coronakrise fängt die Wirtschaftskrise erst richtig an. In der Schweiz ist die Zahl der Erwerbslosen trotz Kurzarbeit im Vergleich zum Vorjahr um fast 54 Prozent gestiegen. Das ist massiv. Und sie trifft vor allem die Über-55jährigen. SGB-Chefökonom Daniel Lampart hat’s untersucht und ist erschrocken. Doch das ist erst der Beginn.

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Am Anfang ist ­immer Trump

Als der Mauerbauer, Sexprahler und Brandstifter, dieses ungesteuerte Geschoss, im Januar 2017 abging, marschierten in den Strassen von Washington bereits Zehntausende Frauen gegen ihn. Weil er das Rad zurückdrehen will. Aus den Anti-Trump-Protesten wurde eine neue Frauenbewegung. Weltweit. Und wieder stehen die USA in Flammen: im lichterlohen Floyd-Protest. Der weisse Cop Derek Chauvin drückte dem gefesselten Schwarzen George Floyd sein Knie so lange gegen den Hals, bis er erstickte. Es geschah am helllichten Tag. Cornel West, einer der führenden afroamerikanischen Intellektuellen, nennt den Mord an Floyd einen «Lynchmord». Er zieht eine direkte Linie von den früheren Lynchpraktiken zur heutigen Polizeigewalt. Und wieder war am Anfang Trump.

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Machen Frauen es besser?

Führen Frauen in der Corona-Krise besser als Männer? Weil sie umsichtiger regieren? Und so sozialisiert sind, dass sie «ökonomisch, medizinisch und sozial vorausschauender» sind als Männer? Das fragte kürzlich die britische Tageszeitung «The Guardian». Und verglich die Zahl der Corona-Toten in verschiedenen Ländern. Und tatsächlich: In den vor­bildlichsten Ländern mit bisher wenig Corona-Opfern regieren durchs Band Regierungs­chefinnen. Allen voran Jacinda Ardern, die Premierministerin von Neuseeland.

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Corona-Hirn

Kaum hatte der Bundesrat grünes Licht für die Coiffeursalons gegeben, setzte er sich auch schon in mein Ohr: «Bim Coiffeur bini gsässe vor em Spiegel – luege dry!» Ja, der Mani Matter. «Und gseh dert drinn e Spiegel wo ar Wand isch vis-à-vis.» Und kaum gab der Bundesrat grünes Licht für die Wiederöffnung der Beizen, näselte er los im andern Ohr, der Peter Bichsel. «Das isch nümme mini Beiz!» jammerte er. Logisch nicht, mit all diesen Corona-Massnahmen: mit diesen Stellwändchen, den maskierten Kellnern, all diesem Abstand und der Desinfiziererei.

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Klassenunterschiede

Jetzt haben wir weltweit wieder zwei Corona-Spezialisten mehr. Der eine ist Herr Doktor Donald Trump, der von sich sagt, er habe eine Begabung für medizinisches Wissen. Und der es «interessant» fände, wenn man Menschen direkt Des­infektionsmittel spritzen würde gegen Corona. Und der andere ist eine Spezialistin: Frau Doktor Magdalena Martullo-Blocher. Die sich selber zur maskierten Expertin kürt, wegen «ihrer Erfahrungen und Kontakte». Und jetzt den sofortigen Exit aus dem Lockdown fordert. Weil: Jeder Todesfall sei zwar «tragisch», aber nicht wirklich zu vermeiden. Trump & Martullo: zwei Führungspersönlichkeiten, die über Leichen gehen.

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Ein winziger ­Virus

Covid 19 ist nur ein Virus. Zehntausendmal kleiner als ein Mensch. Hat keinen Stoffwechsel, benötigt keine Nahrung, atmet nicht. Dennoch ­zittern wir vor ihm. Wir hier im hochindustrialisierten Norden, wir dachten, wir hätten Infektionskrankheiten längst im Griff. Jetzt belehrt uns dieser winzige Virus rabiat eines Besseren. Wir haben weder Medikamente noch einen Impfstoff. Bisher. Mehr noch: Die Pharmamultis Roche und Novartis haben ihre Impfstoff-Abteilungen verkauft: zu wenig rentabel.

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Frühlingserwachen

Frühling in Corona-Zeiten, ein seltsamer Kontrast. Hier neues Spriessen, Aufblühen und Wachsen. Das Leben, halt. Dort Angst, Krise und Krankheit. Der Tod. Und alles, was der Frühling so macht: einen rausziehen, einen ausziehen, einen ranziehen, sollten wir derzeit besser nicht tun. Doch träumen, das ist zwar auch ansteckend, aber das können wir. Der Kirschbaum im Garten ist jetzt noch schöner als andere Jahre. Der Blütenzauber noch zauberhafter. Augen mit Frühling füllen. Augen dann schliessen. Von diesem Frühlingserwachen handelt auch unsere Frontseite. Ein Bild gegen den Virus-Koller. Man sieht den Virus nicht, man riecht ihn nicht – und doch ist er da. Und do­miniert alles.

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Die Vergangenheit lebt immer noch

«Ausgerechnet ich habe für den CIA gearbeitet!» Das sagt Franziska Flury * (61), ehemalige Programmie­rerin bei der Dechiffriermaschinen­fabrik Crypto AG in Steinhausen ZG. «Es war ein super Job, es herrschte ein offener Umgang», erinnert sich die Gewerkschafterin, die damals auch als Kandidatin der Revolutionären Marxistischen Liga (RML) für den Zuger Regierungsrat kandidierte. Flury kann die Crypto-Affäre, die nun dank einem CIA-Papier definitiv aufge­flogen ist, immer noch nicht ganz fassen. Und sie ist nicht allein: work hat mit einem Dutzend Gewerkschaftsmitgliedern und ehemaligen Crypto-Mit­arbeitenden geredet – und alle sind sie schockiert bis verärgert.

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Shopping-Harakiri

Der Verkauf ist in der Krise. Manor schliesst Filialen. Und die Migros verkauft Globus an einen vorbestraften Tiroler Gewerkschaftsfresser. Derweil die Möbel-Pfister-Gruppe und ein Teil der Interio-Läden kürzlich vom österreichischen Möbelkonzern XXXLutz über­nommen wurden. Der Schweizer Detailhandel hat richtig die Krise. So wie wir manchmal beim Shoppen. Zu heiss, zu eng, zu schrill: Joghurt-Türme, Kleiderberge, Parfuminvasionen und Black-Friday-Krieg. Ein kalter Schweissausbruch – und wir verlieren die Nerven. Und erst die Verkäuferinnen und Verkäufer! Sie müssen nicht nur uns aushalten, sondern chrampfen auch noch permanent am Limit. Weil die Chefs «Stunden sparen». Das zeigt die work-Umfrage bei 10 Verkäuferinnen von Aldi bis Migros. Und es ist gewollt.

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Laden des Lächelns

Coop verstösst regelmässig gegen das Arbeitsgesetz. Und wird nicht gebüsst. Das enthüllte der «Blick», und work zeigt das interne Dokument, das den Skandal belegt (Seite 3). Und auch wenn Coop-Personalchef Luc Pillard nun alles runterspielt («Wir bewegen uns auf tiefem Niveau»), bleibt es doch ein Skandal. Denn work weiss: Bereits 2014 machte Coop in derselben Sache Negativschlagzeilen. Und versprach damals, künftig «Nulltoleranz» walten zu lassen. Offenbar ein leeres Versprechen. Mehr noch: Solche Verstösse werden wohl noch zunehmen. Nicht nur bei Coop. Denn die Ladenöffnungszeiten im Detailhandel werden immer länger, aber der Personalbestand wächst nicht mit.

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Buschbrände und Brandstifter

Das neue Jahr beginnt, wie das alte aufgehört hat: In Australien brennt das Buschland. Seit letztem Oktober frassen die Flammen in Down Under zweieinhalb Mal die Fläche der Schweiz. Und immer noch ist Australiens reaktionärer Premier Scott Morrison Klimaleugner. In bester Gesellschaft übrigens. Auch Bauer Marcel Dettling, der im Rennen ums SVP-Präsidium als Favorit gilt, nimmt das Wetter, wie es kommt: «Egal, ob es zu viel ­regnet oder zu wenig Schnee hat – immer soll gleich der Klima­wandel verantwortlich sein!» So mault einer (in der NZZ), der schon vor zwei Jahren für Klima-Schlag­zeilen sorgte. Weil er sagte, für die Klimaerwärmung sei «eine höhere Macht» verantwortlich. Glauben versetzt halt Berge. Blöd nur, dass sich diese tatsächlich bewegen: Obenabä! Denn schon droht im Aostatal am Mont-Blanc ein Gletscherabbruch.